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Sophie Scholl und Jana aus Kassel

Ein Vergleich steht im Raum der keiner sein kann


Ende November hielt die 22-jährige Jana aus Kassel bei einer Querdenkerdemonstration in Hannover eine Rede, in der sie beschrieb, dass sie sich wie Sophie Scholl fühle. Der erste Versuch dieser Rede ging mächtig schief. Nach ihrem Vergleich mit Sophie Scholl wird sie prompt von einem Ordner unterbrochen, Jana bricht daraufhin in Tränen aus, schmeißt das Mikro auf den Boden und verlässt fluchtartig die Bühne.


Diese Szene, die man nicht besser hätte scripten können, ging anschließend viral. Wer es noch nicht gesehen hat, kann es sich hier anschauen.

Das Entsetzen über Janas Vergleich war groß. Zum Glück! Zudem machte man sich lustig über den gesamten Auftritt und feierte den Ordner, der Jana unterbrach.

Auch ich war entsetzt, machte mich lustig über Janas Verhalten auf der Bühne und feierte den Ordner. Ich konnte nicht glauben, dass diese 22-jährige Frau aus Kassel wirklich da vorne steht und lautstark verkündet, dass sie sich so fühle, wie Sophie Scholl sich gefühlt haben muss.


Aber dann musste ich mir eingestehen, dass ich eigentlich kaum etwas über Sophie Scholl weiß. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal mehr ob wir ihre Geschichte im Geschichtsunterricht behandelt haben oder nicht. Was wusste ich also überhaupt über diese junge Frau? Sie war Teil der Weißen Rose und wurde vom NS-Regime zum Tode verurteilt. Das war es dann aber auch schon, was ich wirklich wusste. Also nahm ich Janas extrem unpassenden Vergleich zum Anlass, meine Wissenslücke zu schließen. Ich tauchte ein in die Geschichte von Sophie Scholl und ihren Geschwistern.


Ich hatte nicht gewusst, dass sie und ihre Geschwister als Jugendliche mit Leib und Seele Mitglieder der Hitlerjugend waren. Ich wusste nicht ein mal, dass Sophie Scholl eine (heute ziemlich stylische) Kurzhaarfrisur hatte, um mehr auszusehen wie ein Junge. Vor Augen hatte ich immer dasselbe Bild: Eine junge Frau mit kritischem Blick, schulterlangen Haaren und extremen Seitenscheitel.

Ich wusste auch nicht, dass Sophie Scholl 1937 zusammen mit ihren Geschwistern Inge und Ernst von der Gestapo verhaftet wurde. Alle drei wurden nach mehr oder weniger kurzer Zeit wieder frei gelassen, aber kurz darauf wurde der älteste Bruder Hans verhaftet. Der Grund der Festnahme: Hans hatte eine Affäre mit einem guten Freund gehabt.

Ich hatte auch nicht gewusst, dass Sophie verliebt war. Fritz, ein Leutnant, wurde ihr fester Freund.

Ich tauche ein in die ganz normale Gefühlswelt junger Menschen, die sich zum ersten Mal verlieben, die ihre Sexualität kennen lernen und sich mitreißen lassen vom Sog der damaligen Zeit.

Während die Kinder der Familie Scholl sozusagen voll und ganz „Kinder ihrer Zeit waren“, hat das Ehepaar Scholl gegenüber Hitler und seinem Regime von Beginn an eine ablehnende Haltung. Jedoch ließen sie ihre Kinder gewähren. Unglaublich erleichtert müssen sie gewesen zu sein, als Hans Scholl dem Vater erstmals von Zweifeln an Hitler erzählte. Wie folgenreich diese Zweifel nur wenige Jahre später werden sollte, konnte niemand ahnen.


1942 begann Sophie Scholl, so wie ihr Bruder in München zu studieren. In kürzester Zeit wurde sie aktives Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, die ihr Bruder Hans gegründet hatte. Sie veröffentlichten insgesamt sechs verschiedene Flugblätter und in verschiedenen Städten. Nur ein Jahr später wurden Sophie und Hans Scholl zusammen mit Christoph Probst zum Tode durch die Guillotine verurteilt. Die Vollstreckung des Todesurteils geschah noch am selben Tag.

Aller spätestens jetzt tauche ich in eine Welt ein, in der es absurd wäre, sich mit Sophie Scholl zu vergleichen. Wir jungen Menschen, die in den 90er Jahren in Deutschland geboren sind, haben absolut keine Ahnung davon, welcher Realität Sophie Scholl und ihre Geschwister damals ausgesetzt waren. Wir können gar nicht nachempfinden, welchen Mut diese jungen Menschen damals aufbrachten. Ein Vergleich, wie Jana aus Kassel ihn gemacht hat, ist schlicht und ergreifend unmöglich.


Statt uns mit so atemberaubenden Frauen aus der Geschichte zu vergleichen, können wir ihre Geschichten aber hochhalten. Sie weiterhin lebendig machen, indem wir über sie ins Gespräch kommen, indem wir uns an sie erinnern.


Lena



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