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DER URSPRUNG DER WELT

Updated: Jun 22, 2020

EIN EXKURS ZUM THEMA „WEIBLICHE GESCHLECHTSORGANE“ UND EINE BUCHEMPFEHLUNG


Brauchen wir nach den Filmen wie Vulva 3.0 und Female Pleasure noch einen weiteren medialen Beitrag über weibliche Geschlechtsorgane? Ja, Feminismus ist grad irgendwie modern, aber wissen wir nicht alle, wie das weibliche Geschlechtaussieht?

Das skandalträchtige Gemälde von Gustave Courbet (1866) teilt seinen Titel mit einer Graphic Novel der schwedischen Zeichnerin Liv Strömquist (Ersterscheinung 2014 auf Schwedisch).

Ja, genau, wir haben ja schließlich alle im Sexualkunde- und Biologieunterricht gelernt, was die weiblichen Geschlechtsorgane sind: 

„Generation Bravo“ bezieht ihr Wissen vielleicht eher von Dr. Sommer (hier aus dem Jahr 1993).

Und wie sehen wir das heute so? 


100 Leute habe ich gefragt (nicht ganz, aber fast ;) ): möchtest du eine Zeichnung etc. der weiblichen Geschlechtsorgane für mich anfertigen?


Hier ein paar der Reaktionen:



Dr. Sommer hat in den 90ern ein Wort verwendet, das eine zeitlang eher selten oder sogar falsch verwendet wurde und wird: VULVA! Fälschlicherweise betitelt man nämlich das, was die Vulva ist, mit dem Namen Vagina. Korrekterweise bezeichnet Vagina das schlauchförmige Organ im weiblichen Inneren (sie verbindet Muttermund und Scheideneingang). Vulva hingegen bezeichnet das äußere Geschlecht der Frau mit Venushügel, inneren und äußeren Schamlippen, Klitoris und Öffnung der Harnröhre. Nun, da die Begrifflichkeiten geklärt sind, folgt das, worum es hier eigentlich geht: eine Empfehlung des graphischen Essays „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist. Direkt und mit bissigem Humor zeigt die Politikwissenschaftlerin in ihrem Comic, die kulturelle und sozialhistorische Geschichte des weiblichen Geschlechts, der Menstruation und des weiblichen Orgasmus und deren gesellschaftlichen Umgang.  Mit einer einfachen Zeichenweise, fesselnden Details und dem Einsatz verschiedener Schriftarten und -größen, sowie umgangssprachlicher Formulierung und einer guten Portion Ironie und Sarkasmus fühlt man sich als Leser*in als befände man sich im direkten Dialog mit der Zeichnerin. Mit patriarchatskritischem Blick klärt sie auf und informiert ohne, dass sie dabei unangenehm belehrend wirkt oder einem aufgrund seiner/ihrer Unwissenheit die Schamröte ins Gesicht steigt. Dabei kommen spannende Themen ans Licht und ich erlebte beim Lesen immer wieder aufklärende Momente, die ich gern teilen möchte. Meine Top 4 Themengebiete des Buches: Weibliche Schönheitsideale Während sich die Männer gern an der Größe ihres Gliedes messen, gibt es auch unter Frauen eine solche Debatte, die meines Erachtens aber eher mit Scham und Verstecken als mit Macht und Unterlegenheit verbunden ist: Immer mehr Frauen unterziehen sich einer Prozedur, die den Namen „Schamlippenverkleinerung“ trägt. Dies tun sie, weil sie sich für ungleiche Schamlippen schämen und denken, dass ihre Vulva nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entspricht. Dass dieses Schönheitsideal gesellschaftlich vermittelt wird, zeigt die Tatsache, wie die Zeichnung einer nackten Frau verändert wurde, die die NASA 1972 in einer Raumsonde ins All entsandte. Anfang des 16. Jahrhunderts waren große Schamlippen ein Zeichen für animalische Sexualität, rassische Unterlegenheit und allgemeine Verderbtheit. Liv Stömquist zeigt in ihrem Comic eine ganze Menge entgegengesetzter Beispiele aus verschiedenen Kulturen, und leistet damit einen tollen Beitrag zum Thema Bodypositivity. Die Klitoris  Am Ende des 16. Jahrhunderts galt „eine zitzenartige, fleischige Auswucherung“ im Schritt von Frauen als Zeichen dafür, dass sie Hexen waren. Einige Frauen wurden auf dieser Grundlage tatsächlich verurteilt. Man würde diese „Ausstülpung“ wohl als Klitoris bezeichnen.  Aber halt! Nein, die Klitoris ist nicht nur der kleine „Knopf“, der sich dort befindet, wo rechte und linke Schamlippe zusammentreffen! Im Jahr 1998 entdeckte die australische Wissenschaftlerin Helen O'Conell die wahre Größe der Klitoris und stellte fest, dass dieser kleine, von außen zu sehende Teil (die Klitoriseichel) sich noch fast 10cm weiter ins Körperinnere der Frau erstreckt und von doppelt so vielen Nervenenden durchzogen ist, wie der Penis! Und das führt zur nächsten wichtigen Erkenntnis: Der weibliche Orgasmus Während es im 18. Jahrhundert ganze Handbücher zum Thema Klitorisstimulation gab, verlor dieses Thema mit der Zeit an Aufmerksamkeit und Frauen galten grundsätzlich als „frigide“, wenn sie während des vaginalen Geschlechtsverkehrs keinen Orgasmus erlebten. Heute weiß man: die Klitoris ist an rund 80 % der weiblichen Orgasmen beteiligt und das einzige Organ, das ausschließlich für das Empfangen von Lust zuständig ist! Daher gewinnt die Klitoris wieder an Wichtigkeit. Alte tantrische Praktiken, wie das Trainieren der Vaginalmuskulatur mit sogenannten Yoni-Eiern, werden wieder ausgegraben, es gibt eine riesige Auswahl an Klitoris Stimulatoren (wie zum Beispiel vegan und plastikfrei von Other Nature) und Generation Internet nimmt an Webinaren mit dem Titel Vaginal Kung Fu teil. Crazy! Wer die Existenz und Funktion der Klitoris aktiv feiern und ausleben möchte, trägt in Berlin zum Beispiel die wunderschönen Ketten von clito clito um den Hals und trägt so zu einem lässigeren Umgang und Aufklärung bei! Last but not least: das Tabu Thema Menstruation Tabu Thema? - Leider, ja. Zwar ist der Umgang (zumindest in meinen sozialen Kreisen) mit dem Thema Menstruation immer offener und verständnisvoller geworden, aber gesamtgesellschaftlich gesehen, wird eher ein Versteckspiel um das „unreine Blut“ veranstaltet.  Liv Stömquist widmet einige Seiten der öffentlichen Darstellung von Tampons, Binden und co. Hier wirbt man vor allem mit Wörtern wie „sicher/geschützt/frisch“. Und das, obwohl 90% der verwendeten Materialien aus nie abbaubarem Rohöl bestehen.  An dieser Stelle sei aus Nachhaltigkeitsinteresse und Umweltliebe angemerkt, dass wir auf diese Produkte nicht mehr angewiesen sind. Neben den allbekannten Menstruationstassen gibt es jetzt auch ein wunderbares Höschen fürs Möschen, das das Blut von bis zu 3 Tampons aufsaugt und in seinen verschiedenen Materialschichten verschwinden lässt. Must be magic, I know. Überzeugt euch und supportet das Berliner Unternehmen Ooshi. Auf ihrer Webseite erklären sie auch, wie es funktioniert.  Zurück zum Thema:  Lange Zeit galt Menstruation als etwas mystisches und stand als Sinnbild für Fruchtbarkeit. Dies änderte sich mit der Zeit (vielleicht mit der Entwicklung unserer Gesellschaft hin zum Patriarchat?). Im 3. Buch Mose heißt es zum Beispiel, dass Menstruationsblut, die blutende Frau, sowie alles, was in dieser Zeit mit ihr in Berührung kommt, unrein ist (Frauen durften zu dieser Zeit auch keine Gotteshäuser betreten). Hinzu kommt ein Gefühl von Scham, wenn wir unsere Tage haben. Tampons, die so klein sind, dass man sie in der Hand verschwinden lassen kann, damit niemand sieht, was wir mit aufs Klo nehmen oder Bemerkungen, wie „Boah, hast du deine Tage oder warum bist du so zickig/empfindlich/sensibel/schlecht gelaunt...“, vermitteln ein Gefühl von gesellschaftlicher Ausgrenzung, sowie nicht gesellschafts- oder funktionsunfähig zu sein. Ja, PMS ist nervig und welch Ungerechtigkeit, dass wir Frauen Schmerzen leiden, während Männer dies nicht tun usw, ABER ich plädiere für eine Rückbesinnung auf die Mystik und das Heilige. Ich finde generell, dass der Körper ein unglaubliches Meisterwerk ist, aber der weibliche Zyklus ist da wirklich nochmal ein ganz anderes Level. Vergleichbar mit dem Zusammenspiel von Gezeiten und Mondzyklus. Wie steht es um das Mysterium von sich synchronisierenden Zyklen unter Freundinnen? Warum nicht die Sensibilität nutzen, uns leiten lassen und unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was uns in dieser Phase verstimmt. Ich bin sicher, dass es uns auch an „normalen“ Tagen missfällt, wir aber einfach nicht empfänglich genug dafür sind. Warum nicht PMS und alles was dazu gehört als Chance sehen, um uns mit unseren Gefühlen, Emotionen und unserem Körper zu verbinden? Erweckt Neugierde in Euch und setzt Euch mit Eurem eigenen Ursprung der Welt auseinander Abschließend ein sehr inspirierendes Zitat von Liv Strömquist: Feminismus ist für mich die „Anerkennung, dass es eine zweigeteilte Struktur gibt, die sozial konstruiert ist und soziale Unterschiede, die man nicht einfach nur mit dem Verhalten von Männern und Frauen erklären kann“. Neben dem Ursprung der Welt möchte ich auch dringendst raten, den „Ursprung der Liebe“ zu lesen, in der die schwedische Autorin unter anderem die Themen Beziehung und Geschlechterrollen, sowie deren soziokulturelle Entwicklung und Darstellung in der heutigen Zeit thematisiert. Außerdem können wir uns über einen dritten Comic mit dem Titel „I´m every woman“ freuen, der 2019 in deutscher Sprache vom Avant Verlag veröffentlicht wurde. Lisa




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