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Der "German Dream"?



Als vor kurzem die Nachricht bekannt wurde, dass ein Impfstoff gegen Corona gefunden wurde habe ich dieser zuerst gar nicht sonderlich viel Beachtung geschenkt. Ich wollte mir keine großen Hoffnungen machen und dachte, dass es eh noch Ewigkeiten dauern würde bis dieser es tatsächlich in meinen Arm schaffen würde.

Nach ein paar Tagen habe ich dann natürlich doch mal die Nachrichten verfolgt und einige Berichterstattungen haben einen bitteren Beigeschmack bei mir hinterlassen.

In nahezu jedem Artikel wurde als allererstes geschrieben, dass Ugur Sahin das Kind eines türkischstämmigen Gastarbeiters ist. Und das nicht irgendwann im Laufe des Artikels sondern als Überschrift. So titelte beispielsweise der Kölner Stadtanzeiger:


„Vom Kölner Gastarbeiterkind zum Weltretter Dieses Paar steckt hinter Biontech

Es ist wie in einem Märchen: Ugur Sahin wuchs im Südosten der Türkei auf und kam mit vier Jahren nach Deutschland – nach Köln, wo sein Vater als Gastarbeiter in den Ford-Werken beschäftigt war. Nun könnte er zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci die Welt von dem Coronavirus befreien“1

Auch schreibt die taz über die Neujahrsrede von Frau Merkel:

„Und sie beschwört die „Kraft der Vielfalt“. Die Impfstoffentwickler:innen Uğur Sahin und Özlem Türeci hätten ihr erzählt, dass in ihrer Firma Biontech „Menschen aus 60 Nationen“ arbeiten. Mit dem Wissen, dass Merkels Ära nach der Bundestagswahl im September endet, kommt man kaum umhin, ihr angesichts des grassierenden Rechtspopulismus dankbar zu sein für ihre integrierenden, ruhigen Worte.“2

Ich glaube nicht, dass man mit solchen Worten Rechtspopulismus etwas entgegen stellt, denn es bedeutet im Umkehrschluss auch:

Egal ob du Kriminell bist oder die Menschheit potentiell von einer Pandemie befreist, der Geburtsort deiner Eltern oder sogar Großeltern wird immer irgendwie eine Rolle für die Öffentlichkeit spielen.

Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen bedeutet in meinen Augen auch, die Herkunft von Menschen nicht zu kommentieren (oder zumindest nicht als allererstes), wenn diese in dem Moment keine Rolle spielt. Natürlich ist es auch gerade für junge Menschen wichtig erfolgreiche Vorbilder zu haben, welche vielleicht einen ähnlich klingenden Nachnamen haben, wie man selbst hat. Aber genau dies - nämlich den Nachnamen der beiden zu lesen hätte dafür meiner Meinung nach schon ausgereicht.

Ich habe nur einen Artikel (auch aus der taz) gefunden, der diese Reaktionen kritisch hinterfragt hat:

Stolz und Irritation - Özlem Türeci und Uğur Şahin haben einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt. Jetzt interessieren sich viele für ihre Herkunft. Warum?3


Es gab natürlich auch Menschen die richtigerweise darauf hingewiesen haben das die Geschichte von Ugur Sahin uns einmal mehr klar machen sollte, dass unser Schulsystem immer noch Menschen diskriminiert. (Er hatte von seinem damaligen Lehrer eine Hauptschulempfehlung gekommen. Über die Familiengeschichte von Özlem Türeci war in den Medien weniger zu finden, was ich auch interessant finde.)


Sara


1 https://www.rundschau-online.de/news/wirtschaft/vom-koelner-gastarbeiterkind-zum-weltretter-dieses-paar-steckt-hinter--biontech--37601784 ( Der ganze Artikel ist kostenpflichtig, aber die Ãœberschrift reicht aus um darzustellen was ich meine.)

Bild: Screenshot RP Online (vom 06.01.2021)

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