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FRAUEN, MIGRATION UND PALERMO

Updated: Jun 22, 2020



Mal wieder hat es mich nach Palermo verschlagen – die Stadt der ewigen Sonne, der Leichtigkeit, der Schönheit. Die Stadt, in der alles möglich ist. Sich treiben lassen und genießen, ja so scheint das Leben hier nach dem Motto „la vita è bella“ zu funktionieren. Doch Palermo ist auch die Stadt der Ankünfte von Geflüchteten gewesen und vereinzelt heute noch immer. Nachdem der Innenminister Salvini in seiner letzten Legislaturperiode (Juni 2018 - September 2019) beschlossen hat, sich ganz der Schließung der Häfen in Italien und der Kriminalisierung der NGOs zu widmen, die im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken retten, ist die Zahl der neu angekommenen Geflüchteten drastisch gesunken.  Laut Aussagen des italienischen Innenministeriums haben im Jahr 2019 11.471 Geflüchtete Italien über See erreicht, im Jahr 2018 waren es noch 23.370, während 2017 119.369(!) Geflüchtete die italienischen Küsten erreicht haben. Falls euch das Thema interessiert und ihr mehr über die aktuelle Situation der Geflüchtete in Sizilien erfahren wollt, könnt ihr hier den neuen Bericht der NGO borderline-europe nachlesen. Dass Geflüchtete vermehrt in den letzten Jahren auf Sizilien angekommen sind, ist wohl bekannt – die mediale Aufmerksamkeit hat in den letzten Monaten zwar nachgelassen, aber es ist irgendwo in unserem Bewusstsein vermerkt – Menschen flüchten, überqueren das Mittelmeer, wir haben das Bild des überfüllten Bootes im Kopf und auch oft genug das der Toten im Mittelmeer. Doch weniger bekannt ist wohl die dramatische kollektive Erfahrung, die viele Frauen auf dem Weg nach Europa erleben müssen. Es kommen zwar im Vergleich zu Männern, viel weniger Frauen an den italienischen Häfen an, aber es sind vor allem sie, die vor, während und nach der Flucht das größere Leid tragen müssen. Die meisten Frauen werden auf ihrer Flucht mehrmals Opfer von sexueller Gewalt und bezahlen ihre Weiterreise mit ihrem eigenen Körper. In sehr vielen Fällen überqueren sie das Mittelmeer entweder schwanger oder mit einem kleinen Kind auf dem Arm. Gerade in Libyen ist die Situation drastisch. Während eines Aufenthaltes in Palermo im Jahr 2017 war ich bei einer Ankunft eines Rettungsschiffes am Hafen und habe gemeinsam mit verschiedenen NGOs die Angekommenen empfangen. Die Geretteten wurden in kleinen Gruppen von ca. zehn Menschen vom Schiff gelassen, um einen geregelten Weg zu finden, den Gesundheitscheck, einer Erstbefragung und Aufteilung in so genannten Zelten zu vollziehen. Wir verteilten die Essensrationen – eine große Flasche Wasser, ein Milchbrötchen mit etwas Marmelade und ein Apfel. In den Zelten warteten die Geflüchteten auf eine Verteilung in die unterschiedlichen Erstaufnahmezentren in ganz Italien. Stundenlanges Warten und dies nach monatelanger Flucht, Aufenthalt in Libyen, einer Überquerung des Mittelmeeres, einer Rettung und weiteren Stunden des Wartens bis das Schiff verlassen werden durfte. Fast alle Frauen schwanger, viele mit einem kleinen Kind auf dem Arm.  Als meine Kollegin den Beamten, der für die Koordinierung der Essensrationen verantwortlich war, fragte, ob wir den schwangeren Frauen nicht noch eine weitere Essensrationen geben dürften, antwortete dieser in einem harschen Ton – es sei falsch zu denken, dass schwangere Frauen mehr essen sollten, sie würden ja nur einen fetten Arsch bekommen - und bot uns stattdessen an, selbst das Milchbrötchen zu essen, denn ein paar Essenstüten seien noch übrig. Vieles läuft schief, vieles ist unkontrolliert und schlicht und ergreifend menschenrechtswidrig.  Palermo als Transitstadt – denn die meisten blieben und bleiben nicht hier. Viele Frauen, die in den letzten Jahren in Palermo, auf Sizilien, angekommen sind, sind Opfer von Menschenhandel geworden oder waren es von Beginn an. Viele dieser Frauen landen in den europäischen Großstädten als Prostituierte auf der Straße und werden für einen Blowjob mit 10€ bezahlt – dabei müssen sie noch die Schulden zurückzahlen an die Menschenhändler*innen, die sie ja schließlich nach Europa gebracht haben. Ein Netzwerk aus mafiösen Verstrickungen, Geldflüssen und Wegen, die bis vor unsere eigene Haustür in Deutschland, Österreich, europaweit führen.  Zum Schluss noch ein Bildverweis des Künstlers Igor Scalisi Palminter mit einer Neuinterpretation der „Santa Rosalia“, die Schutzpatronin, die Palermo 1625 von der Pest befreit hat und jährlich am 15. Juli mit einem prachtvollen Festumzug in Palermo gefeiert wird. “Santa Rosalia, öffne uns die Häfen!” Die Neuinterpretation der Kultfigur Palermos soll ein Zeichen setzen – nicht mehr für die Befreiung Palermos von der Pest, sondern viel mehr von dem Hass, dem aufkeimenden Rassismus und der korrupten Politik, die auf Sizilien, in Italien und in vielen anderen Teilen der Welt am Aufblühen ist. In diesem Sinne: amunì = ein sizilianischer Ausdruck für „los geht’s!“ – lasst uns aufklären und ein Zeichen setzen gegen diese menschenrechtswidrigen Praktiken und Solidarität zeigen! Paola



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