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Wir sind wütend!


Letztes Jahr haben wir – zwei Frauen, Freundinnen und Kolleginnen – eine Rede für eine Kundgebung anlässlich des internationalen Frauenkampftages geschrieben. Als Mitarbeiterinnen einer Beratungsstelle für Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben oder immer noch erleben, bekommen wir hautnah mit, welche gewaltvollen Auswirkungen eine sexistisch strukturierte Gesellschaft für Frauen hat.

Das macht wütend! Und an diesem Frauenkampftag waren wir besonders wütend.


Seit wir uns kennen ist der Austausch über die Wut auf die bestehenden Verhältnisse ein wichtiges Thema in unserer Freundinnenschaft. Und wir finden es gibt einiges worauf wir wütend sein sollten. Da sind die patriarchalen Zustände weltweit, welche bis heute Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminieren und ausbeuten. Da ist der neoliberale Spätkapitalismus, der ohne die unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen nicht existieren könnte und den weiblichen Körper massiv kontrolliert. Und dann gibt es da noch die polizeiliche Repression die zu erwarten ist, wenn eine sich diesen Zwängen widersetzt und auf diese Verhältnisse aufmerksam machen will.


Auch wir wollten unsere Wut über diese Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen zum Ausdruck bringen und beschlossen wie so viele, die Stadt ein wenig zu verschönern… Aber Feminismus, der ein deutliches Zeichen im Stadtbild setzt, ist nicht gerne gesehen. Das haben uns die Bullen, die uns bei der Verschönerungsaktion erwischten auch deutlich gemacht. „Es ist ja in Ordnung für Feminismus zu sein und ich sehe auch einige Ungerechtigkeiten, aber wütend sein und Straftaten begehend, das muss doch nicht sein.“ So zumindest die Auffassung der Polizistin, die uns in der Nacht vor dem Frauenkampftag festnahm. Etwas Solidarität bekamen wir von einem nächtlichen Spaziergänger, der sich mit dem anderen Polizisten anlegte und unsere Aktion unterstützte.

Nachdem wir einige Stunden auf der Wache festgehalten wurden und eine Anzeige bekamen, durften wir wieder gehen. Dass das unserem Kampf keinen Abbruch tun würde, hatten wir schon in der Bullenkarre beschlossen, als wir uns angrinsten, unsere Hände griffen und festhielten bis wir an der Wache ankamen.


Nach drei Stunden Schlaf mussten wir noch unsere Rede für den Frauenkampftag, der zwei Stunden später stattfinden sollte, zu Ende schreiben.

Verhaftet zu werden war kein Spaß, aber anstatt uns davon einschüchtern zu lassen, nutzten wir unsere Wut, um noch ein paar Worte zu Papier zu bringen.

Die Wut war plötzlich eine treibende Kraft, die den Schlafmangel ausglich und Adrenalin durch unsere Körper jagte. Anstatt zu resignieren und vor der Repression des Staates zu knien, schrieben wir unsere Rede, um ein deutliches Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen und um zu zeigen, dass wir weiterkämpfen und uns von solchen Schikanen nicht unterkriegen lassen.


Mit unserer Wut gingen wir zur Demo hielten unsere Rede und uns war klar, dass wir uns unsere Wut nie wieder nehmen lassen würden.

Auch wenn es den Gesetzeshütern nicht passt, werden wir uns weiterhin mit feministischen Gesellschaftstheorien auseinandersetzen, Betroffene unterstützen, Frauenräume organisieren, uns mit Frauen weltweit solidarisieren und das Stadtbild mit Symbolen und Sprüchen verschönern, um so täglich an die Bedeutung einer feministischen Emanzipation zu erinnern.

Wir lassen uns von polizeilicher und staatlicher Repression nicht unterkriegen und kämpfen weiter! Wir setzen uns für die Befreiung aller Frauen ein. Und wir werden wütend sein, bis diese unterdrückenden Strukturen zerschlagen sind!


Hier nun unsere Rede zum Internationalen Frauenkampftag:


Der [Name der Beratungsstelle] hat sich aus der Frauenbewegung heraus gegründet, um Frauen, die von Vergewaltigung betroffen waren zu unterstützen. Die Arbeit mit Betroffenen hat schnell gezeigt, dass sexualisierte Gewalt viele Formen kennt. Sexistische Kommentare, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Missbrauch in der Kindheit. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir sind nun quasi eine neue Generation, treten das Erbe unserer Vorgängerinnen an und wünschten uns, wir würden hier nicht mehr stehen müssen. Wir wünschten der [Name der Beratungsstelle] wäre nach über 40 Jahren nicht mehr notwendig. Aber ganz im Gegenteil erleben wir täglich in der Beratung und in der Prävention, dass unsere Arbeit bis heute eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist.

Noch immer ist jede 7. Frau in Deutschland von schwerer sexualisierter Gewalt, wie sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung betroffen, noch immer erfährt über die Hälfte aller Frauen sexuelle Belästigung. Noch immer ist jedes 4.-5. Mädchen und ca. jeder 7. Junge von sexuellem Missbrauch in der Kindheit betroffen.

Die Zahlen bleiben konstant. Alles Einzelschicksale? Nein, der Grund hierfür ist das patriarchale Geschlechterverhältnis. Sexualisierte Gewalt ist geschlechtsspezifische Gewalt.

In diesem patriarchalen Geschlechterverhältnis herrscht häufig immer noch die Vorstellung, dass so ein Klaps auf den Po doch nicht so schlimm ist und wo am Ende sowieso die Betroffene schuld ist, denn sicherlich hat sie sich aufreizend angezogen, war alleine im Dunkeln unterwegs oder hat zweideutige Signale gesendet. Wir haben Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft normalisiert, zur Flirtkultur erklärt und verharmlost. Und jede die sich gegen die Akzeptanz dieser Normalisierung auflehnt wird als hysterisch, anstrengend und als Männerhasserin diffamiert. Trotzdem wehren wir uns und kämpfen gegen diese Strukturen. Wir sind wütend! Wütend, dass es immer noch gesellschaftliche Notwendigkeit ist auf das Ausmaß sexualisierter Gewalt aufmerksam machen zu müssen. Wütend, dass wir immer noch in einem Patriarchat leben und jeden Tag sehen wie es die Autonomie von Frauen beschneidet.

Diese Mythen über Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt schützen die Täter und geben den Betroffenen die Schuld. Der gesamtgesellschaftliche Täterschutz, der damit betrieben wird, verschweigt die sexistischen Verhältnisse und erschwert Frauen über Gewalterfahrungen zu sprechen. Victim Blaming und Täterschutz werden allzu gerne betrieben, wenn es um sexualisierte Gewalt geht.

Wir fordern endlich mit den Mythen aufzuräumen und die Schuld bei denen zu lassen bei denen sie liegt: den Tätern!

In den letzten Jahren sind immer mehr Frauen und Mädchen zu uns in die Beratung gekommen, die sexualisierte Gewalt durch digitale Medien erfahren haben. Es werden unaufgefordert Dickpics und Pornos verschickt, Ex-Partnerinnen gestalked und erpresst. Auf Festivals wie Moni’s Rache oder der Fusion werden heimlich Kameras in den Toiletten angebracht und die Videos später ins Netz gestellt.

Einzelschicksale? Nein! Gewalt an Frauen hat System und dieses System heißt Patriarchat!

Wir müssen diese sexistischen Gesellschaftsstrukturen zerschlagen! Wir fordern deshalb bedingungslose Solidarität mit den Betroffenen! Wir fordern den Täterschutz und die Bagatellisierung sexualisierter Gewalt an Frauen zu beenden!


Gastbeitrag




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